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Von Unternull auf 1300 Meter über Meer

Fast sehr unsanft wurde ich am Frankfurter Hauptbahnhof aus meinen Träumen gerissen. Hatte ich es nicht kurz nach Kassel endlich geschafft einzuschlafen und mich vor den immer wieder erscheinenden Kontrolleuren zu flüchten, stand plötzlich eine viel zu Deutsch wirkende Frau vor mir, die in dem fast leeren Zug drauf beharrte, unbedingt ihren reservierten Sitzplatz am Fenster einzunehmen, den sie ja zwei Monate zuvor extra am Schalter gebucht hatte. Ich setzte mich also auf einem anderen Platz und versuchte, meine begonnenen Träume von Raclette und bester Schweizer Schokolade fortzuführen, als der nächste Fahrkartenkontrolleur den Drang auf eine weitere Fahrscheinkontrolle verspürte. Naja, es waren ja nur noch 4 Stunden bis zu unserem endgültigen Ziel in Thun in der Schweiz und mal ehrlich, Schlaf wird sowieso längst überbewertet. Erst recht nachzuholender Schlaf in der Deutschen Bahn.

Die restliche Fahrt ging wie im Zug vorbei und schon kurz vor der Ankunft haben wir Norddeutschen schon mehr Höhenmeter hinter uns gelassen, als wir uns hätten vorstellen können. In Thun wurden wir anschließend alle ganz herzlich von unseren Gastfamilien abgeholt und im Auto verstaut. Nach bereits 30 Minuten war mein neues Zuhause für die kommenden drei Wochen erreicht. Auf ca. 1300 Metern Höhe ließ es sich, für einen Buxtehuder der normalerweise auf unternull zuhause ist, aber erstaunlicherweise gut schlafen.

Montagmorgen konnte also der erste Arbeitstag beginnen. Das Wetter spielte an diesem schönen Morgen auch mit und lieferte uns mit Temperaturen um die 20 Grad einen warmen Spätsommertag. Für uns Deutsche ein wunderschönes Wetter, Frau Holle wurde von den Einheimischen aber wie wild verflucht, wieso es denn im Oktober noch nicht auf die Skipiste gehen konnte.

Mein erster Arbeitstag in der Schreinerei Schranz begann mit einem Rundgang durch die kleine Werkstatt. Meine ersten Aufgaben bestanden im Plattenzuschnitt für einen Einbauschrank und im Neuanfertigen von vier Beinen einer alten Sitzbank aus guter deutscher Eiche. Ahnung von Qualität haben sie, die Schweizer. Damit war der Tag auch schon zu Ende und ich bin voller Erschöpfung nur noch in das weiche Bett gefallen. Vielleicht hat die Höhe am ersten Tag doch ein bisschen mit meiner Ausdauer gespielt.

Am zweiten Tag erwartete mich die besondere Aufgabe, eine größere Anzahl an Stabellen fertigzustellen. Eine Stabelle ist ein alter Bauernstuhl, auch Brettstuhl genannt. Diese werden häufig aus einem feierlichen Anlass wie z.B. zur Taufe oder Einschulung, als Geschenk überreicht, deshalb sind diese meist mit aufwendigen Schnitzereien in der Sitzlehne versehen. Am Abend des zweiten Tages haben sich alle am Austausch Beteiligten zum gemeinsamen Abendessen in Frutigen versammelt. Gefolgt von einer Ansprache des Innungleiters der Schreiner aus dem Berner Oberland, wurde das Freizeitprogramm der nächsten Tage besprochen. Nach gemütlichem Dinieren wurde sich auch schon wieder verabschiedet und auf den nächsten Tag vorbereitet. Und wenn man sich auf den nächsten Tag vorbereiten muss, kann das nur bedeuten, dass die Berufsschule wartet.


Mittwoch, erster Berufsschultag. So wie es klingt sollte es dann doch nicht werden. Schule fand für mich nur halbtags statt, somit konnte ich bis zum Mittag noch an meinen Stabellen weiterarbeiten, bis ich von 13 bis 17 Uhr in die Berufsschule nach Frutigen musste. Dort stand der erste Schultag nach den Ferien an und somit wurde noch einmal der Stoff von vor den Ferien wiederholt. Darrzustand und Rohdichte von Holz stand auf dem Programm. Dazu noch ein Bemaßungslehrgang und ein paar Übungen zu Stück-, und Werkslisten und die vier Stunden waren schon wieder vorüber.

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